Kunst am Bau
  Flower Room - Kunstmuseum Heidenheim 2006  

 


























































Flower Room

Im ersten Obergeschoss des Kunstmuseums wurde ein ehemaliges Büro in ein neues Ausstellungskabinett umgewandelt, das nun zusammen mit der Flowers–Ausstellung der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Unter dem Titel Flower Room werden dort für längere Zeit zwei Werke präsentiert, die eigens für diesen Ausstellungsraum angefertigt wurden: Eine große Blütenskulptur des britischen Künstlers Jan Niedojadlo und eine Wandinstallation aus Keramikkacheln von dem Stuttgarter Maler Thomas Heger.

Den Auftrag zur Schaffung einer Blumenskulptur gab die ehemalige Vorsitzende des Vereins Kinder & Kunst e. V., Renate Colditz, die dem Kunstmuseum eine „kindgerechte“ Skulptur von Jan Niedojadlo dauerhaft zur Verfügung stellen wollte. Der britische Künstler gestaltet aus modernen und einfachen Materialien wie Plastikfolien, Haushaltsschwämmen, Klobürsten, Kunstleder und Bezugsstoffen große Skulpturen, in die man hineinkriechen kann, was besonders Kinder und Jugendliche reizt und fasziniert, die seine bunten und strapazierfähigen Skulpturen ohne Hemmungen in Besitz nehmen. Neben der schon äußerst seltenen Gelegenheit künstlerische Plastiken anfassen zu dürfen und in sie hineinkriechen zu können, bieten Niedojadlos Skulpturen ihren Besuchern ein höhlenartiges Inneres, in dem sie sich sofort wohlfühlen. Denn durch die semitransparenten Wände aus Draht, Plastikfolien und Stoffen dringt gedämpftes, buntes Licht und der Boden ist so weich gepolstert, dass man dort gerne sitzen bleibt. Außerdem duftet es nach Blüten und man hört gedämpfte, sphärische Musik. Im Inneren dieser Skulpturen entsteht dadurch eine freundlich-kuschelige Atmosphäre, die fast zwangsläufig Assoziationen an die ursprüngliche Geborgenheit im Mutterleib auslöst.

Während Jan Niedojadlos Blütenskulptur beim Besucher vermittels körperlicher, haptischer, olfaktorischer und akustischer Erfahrungen Regressionen in pränatale Gemütszustände hervorruft, fordert Thomas Hegers Wandinstallation vom Besucher einen wachen und analytisch-vergleichenden Blick. Denn der Stuttgarter Künstler hat die Wände des Flower Rooms mit Bildkacheln aus Keramik so gestaltet, dass sie vielfältige Verbindungen zwischen Jan Niedojadlos Skulptur einerseits und der Architektur des historischen Gebäudes andererseits herstellen. Dies entspricht exakt der Aufgabenstellung, die der Förderkreis des Kunstmuseums 2005 für den künstlerischen Wettbewerb zur Ausgestaltung des Flower Rooms formuliert hatte.

Die Verbindung zur Flower-Skulptur stellt Thomas Heger dadurch her, dass er in seiner Wandinstallation ebenfalls das Blumenmotiv aufgreift. Dabei kombiniert er es jedoch mit Blumenvasen, die in seinem eigenen künstlerischen Werk eine zentrale Rolle spielen. Bedeutender als die reine Motivwahl ist jedoch die Idee, die einzelnen Bilder nicht als Malerei auf Leinwand auszuführen, sondern als Bildkeramiken. Hierzu inspirierte den Künstler die Innenausstattung des Gebäudes, das ursprünglich ein im Jugendstil errichtetes Schwimmbad war. Trotz einer insgesamt zurückhaltenden Wandgestaltung zeichnet sich dessen Foyer an den oberen Wandabschlüssen und der Decke durch eine Reihe von Stuckreliefs aus, die überwiegend pflanzliche Motive aufweisen. Auf diese plastischen Stuckmotive antworten Thomas Hegers Keramiken, denn auch sie verfügen über reliefierte Oberflächen. Außerdem sind die Keramiken nicht – wie man es erwarten würde - mit Lack überzogen, sondern weisen dieselben matten Oberflächen wie die Stuckornamente auf. Zusammen mit der am historischen Vorbild orientierten Farbigkeit in Weiß, Rosa und Lindgrün entstehen so vielfältige Korrespondenzen zwischen Thomas Hegers moderner Wandgestaltung und dem historischen Gebäude.

Da sich die Wandinstallation jedoch nicht im historischen Foyer, sondern im daran angrenzenden modernen Ausstellungsraum mit seinen schlichten weißen Wänden befindet, drängen sich diese ästhetischen Korrespondenzen nicht auf den ersten Blick auf. Vielmehr können sie vom Betrachter nur durch den reflektierenden Vergleich mit dem zuvor durchschrittenen Foyer erschlossen werden. Doch nicht nur die räumliche Distanz verhindert eine allzu große künstlerische Nähe zum historischen Vorbild. Vielmehr vermeidet der Künstler selbstbewusst jede stilistische Anlehnung an den vorhandenen Jugendstil, indem er sich konsequent seiner eigenen, nüchternen Bildsprache bedient, in der sich schablonenhafte und malerische Bildelemente spannungsvoll mischen. So schafft er interessante Korrespondenzen, ohne in Epigonalität zu verfallen. Dies zeigt sich auch in dem Arrangement der 20 Kacheln, welche die Wände des Ausstellungskabinetts in einem spannungsvollen Rhythmus überziehen. Sie sind so angeordnet, dass sie die vier Jahrezeiten darstellen: Gleich neben dem Eingang zeigen die Kacheln Vasen und zarte Blütenformen und deuten damit den Frühling an. Ihnen folgen auf der linken Wand Bilder mit größeren Blüten und wenigen Vasenmotiven, die den Sommer symbolisieren. Auf der dem Eingang gegenüberliegenden Fensterseite ist – wieder im Wechsel von Blüten- und Vasenmotiven - der Herbst dargestellt, während die Winterwand ausschließlich aus altweißen Kacheln besteht, die leere Vasenreliefs zeigen. Auch mit dieser thematischen Ausweitung der Blumen- und Vasenmotivik reagiert die Wandinstallation auf die Bildmotive im Foyer, denn diese zeigen – dem ursprünglichen Zweck des Gebäudes als Schwimmbad entsprechend – ausschließlich sommerliche Themen. Durch all diese mit Bedacht gesetzten Korrespondenzen sensibilisiert Thomas Heger den Betrachter also für die Eigentümlichkeiten des Bauwerks ohne seinen eigenen, zeitgemäßen Stil aufzugeben.

Betrachtet man den Flower Room mit seinen beiden Auftragswerken als Gesamtheit, dann zeigt sich, dass dieses Ausstellungskabinett trotz seiner vergleichsweise geringen Größe ein erstaunliches Spektrum an zeitgenössischen künstlerischen Ausdrucksformen bietet. Es umfasst sowohl die aus modernen Materialien bestehende und auf multi-sinnliche Erlebnisse und unmittelbare Einfühlung zielende Blütenskulptur Jan Niedojadlos als auch die nahezu klassischen, aber dennoch modernen Bildkeramiken von Thomas Heger, welche die Wahrnehmungs- und Reflexionsfähigkeiten des Betrachters herausfordern. Insofern ergänzt der – aus konkreten Vorgaben entwickelte und auf Dauer angelegte – Flower Room ideal die zeitlich begrenzte Flowers-Ausstellung.


Tite
Flower Room

Thomas Heger
Wandinstallation, 2006
20 Keramikkacheln je 30 x 30 cm
hergestellt im Atelier von
Silvia Siemes, Beuren bei Kirchheim/Teck
Stiftung des Förderkreises Kunstmuseum Heidenheim e. V.

Jan Niedojadlo
Skulptur, 2005
Stahl, diverse Kunststoffe und Textilien, Audiogeräte
Leihgabe von Renate und Eberhard Colditz, Heidenhei